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Dienstag, 14. August 2012

Warum Drogen legalisiert werden müssen

Eigentlich wollte ich mich heute mit einem anderen Thema beschäftigen, dann fiel mir jedoch auf, dass ich das Thema Drogenpolitik als eines meiner Hauptthemen in der Beschreibung des Blogs genannt habe, aber noch nichts darüber geschrieben habe.

Des Weiteren steht eine Diskussion darüber an, ob die Forderung nach einem Modellversuch einer staatlich kontrollierten Cannabisabgabe Teil des Wahlprogramms der niedersächsischen Grünen seien soll. Warum beschäftige ich mich in diesem Post also nicht nur mit Cannabis? Aus dem einfachen Grund, dass die Unwirksamkeit des Cannabisverbotes lediglich ein Beispiel für die Unwirksamkeit der Drogenprohibition insgesamt ist. Wenn man die Diskussion lediglich auf Cannabis beschränkt, läuft das häufig auf mehr oder weniger wissenschaftliche Debatten über die Schädlichkeit der Hanfpflanze hinaus. Während es vollkommen korrekt ist, dass Cannabis weitaus weniger schädlich als viele der derzeit legalen Drogen und die Einstiegsdrogenthese längst widerlegt ist, halten solche Argumente an der Annahme fest, dass es richtig und erfolgreich ist, schädliche Substanzen zu verbieten. Diese Grundannahme ist der eigentliche Fehler der Prohibitionist_innen.
Ich werde im Folgenden alle gängigen Argumente gegen die Legalisierung entkräften, die mir spontan in den Sinn kommen. Wenn damit nicht alle Bedenken ausgeräumt sind, einfach einen Kommentar unter den Text setzen und ich befasse mich gesondert damit. Dabei mache ich darauf aufmerksam, dass die Beweislast für den Sinn der Prohibition eigentlich bei dessen Befürworter_innen, die durch diese schwere Eingriffe in grundlegende Menschenrechte ( von Hausdurchsuchungen bis Freiheitsentzug ) begründen, liegen sollte. Diese Erkenntnis ist wichtig, da in der Tat niemand zu 100% wissen kann, wie sich eine Legalisierung genau auswirken würde.

"Niemand braucht Drogen"

Dieses Argument ist vor allem deshalb nicht für eine ernsthafte Diskussion über die Legalität von Rauschmitteln geeignet, weil es sehr ungenau ist. Was bedeutet es, etwas zu brauchen? Wenn "brauchen" im Sinne von "ohne Drogen kann ich, biologisch gesehen, nicht überleben" gemeint ist, so kann man diese Aussage im Allgemeinen bejahen, wobei einige Menschen, unter Anderem Cannabispatient_innen, sehr wohl auf die Einnahme psychoaktiver Substanzen angewiesen sind.
Die Tatsache, dass für die meisten Menschen Drogen nicht überlebenswichtig sind, ist jedoch keine Begründung für ein Verbot. So sind zum Beispiel auch Autos für niemanden überlebenswichtig, potenziell gefährlich und trotzdem nicht verboten.
Es liegt also die Vermutung nah, dass "brauchen" im Sinne von "ich brauche Drogen, um mein individuelles Glück zu erreichen" gemeint ist. Hierzu lässt sich feststellen, dass die große Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft bewusstseinsverändernde Substanzen benutzen. Die Ziele, die sie damit verfolgen, reichen von Stimmungsaufhellung über Bewusstseinserweiterung bis zu Leistungssteigerung und sind so vielfältig wie die unterschiedlichen Drogen und die Menschen, die sie nehmen. Ob eine Bewusstseinsveränderung "nötig" ist, um ein erfülltes Leben zu haben, ist also eher eine philosophische Frage, auf die jede_r eine andere Antwort finden wird. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Menschen eine bestimmte Ansicht in dieser Frage aufzustülpen, oder sie vom Umgang mit Substanzen abzuhalten, solange sie die Freiheiten eines anderen Menschen nicht tangieren.

"Dann würde ja jede_r zum Junkie werden"

Dieses Argument ist etwas schwieriger zu entkräften, da es sich als Annahme tief im Bewusstsein der Gesellschaft verankert hat. Es beinhaltet einige grundsätzliche Fehlannahmen. Zum Einen wird suggeriert, dass jede_r, der/die Drogen konsumiert automatisch süchtig wird und eine Sucht automatisch zu Krankheit und Tod führt. Zum Anderen wird angenommen, dass sich Drogenkonsum durch das Verbot reduzieren lasse.
Für eine Entkräftung der Annahme "Drogenkonsum führt zu Drogensucht" möchte ich auf die Studie des IOM zu Cannabis als Medizin sowie die Dissertation der Wissenschaftler Anthony, Warner und Kessler aus dem Jahre 1994 verweisen. Beide Studien enthalten Statistiken über die Anzahl von Drogengebraucher_innen, die jemals eine Abhängigkeit von der jeweiligen Droge entwickelten. Die illegale Droge mit dem größten Suchtpotenzial ist demnach Heroin mit 23% Abhängigkeitsquote. Die Drogensucht als unumgehbare Folge des Drogenkonsums zu bezeichnen, entbehrt also jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.

Auch die Annahme, Drogensucht führe in den meisten Fällen zum Tod, ist falsch. Hierzu empfehle ich die PREMOS-Studie, die Substituierte Drogenabhängige über einen längeren Zeitraum beobachtete und feststellte, dass höchtens 30% der Krankheitsverläufe als negativ zu bewerten sind. Eine große Anzahl der Opiatsüchtigen können ihren Zustand unter den richtigen Rahmenbedingungen auch ohne den Verzicht auf Drogen stabilisieren und sind nicht von Anfang an dem Tode geweiht. Tatsächlich ist die Ansicht, dass es unüberwindbare Kausalzusammenhänge dieser Art gäbe, für das Selbstvertrauen und die Zukunftsaussichten von Abhängigen äußerst schädlich und entwickelt sich somit häufig zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung, da Hilfe oft nur unter der Bedingung der Abstinenz, die häufig - gerade als Einstiegsziel - vollkommen unrealistisch ist, gewährt wird.
Die Ansicht, dass die Prohibition Drogenkonsum präventiv verhindert und somit die Schäden durch Drogenkonsum mindert, ist angesichts steigender Konsument_innenzahlen weltweit schwer nachzuvollziehen, wird jedoch von großen Teilen des gesellschaftlichen Mainstreams weiter vertreten. Sie beruht auf der volkswirtschaftlichen Annahme, dass ein durch Razzien bei Händlern gestiegener Preis für Drogen, zusammen mit einer durch Verfolgungsdruck induzierten Abschreckung der Konsument_innen, die Nachfrage senkt.
In der Realität ist diese abschreckende Wirkung der Prohibition jedoch nur sehr begrenzt zu beobachten. So ist der Drogenkonsum in Portugal, seitdem Drogen dort weitestgehend entkriminalisiert wurden, vor allem unter Jugendlichen, eher gesunken als gestiegen, im Grunde jedoch relativ konstant geblieben. Ich empfehle hierzu die Studie, die das Cato Institute, dass politisch eher der FDP als uns Grünen nahesteht, also keine linke Hippie-Traumfabrik ist, anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Entkriminalisierung erstellt hat.
Auch die Reduzierung des Angebots durch Beschlagnahmung von Drogen und Festnahmen von Dealern ist lediglich temporär, da bei gleichbleibender Nachfrage nach einer Razzia von einem steigenden Preis auszugehen ist, ist es gerade zu diesem Zeitpunkt besonders lukrativ, in das Geschäft einzusteigen. Das dadurch entstehende Angebot überkompensiert die Angebotssenkung durch die Razzia, wodurch die Preise für Drogen - trotz steigender Prohibitionsbudgets - in den letzten Jahrzehnten ständig gesunken ist.

"Damit geben wir uns der Drogenmafia geschlagen"

An diesem Zusammenhang lässt sich auch erklären, warum eine Legalisierung keine Kapitulation vor der Drogenmafia, sondern der schwerst mögliche Schlag gegen ihre Existenzgrundlagen ist.
Durch das fehlen eines regulierten Marktes sind Konsument_innen gezwungen, auf den Schwarzmarkt zu gehen, um sich durch Strafverfolgung künstlich verteuerte Drogen zu kaufen. Ist dann kein Geld zur Finanzierung der eventuellen Sucht mehr da, geht es in die Beschaffungskriminalität oder es wird einfach eine billigere Version der selben Droge verwendet, die im Allgemeinen deutlich schädlicher als ihre Analoge sind. Die Nachfrage nach Crack, Crystal Meth und Heroin ist also vor allem deshalb so hoch, da die weniger schädlichen Alternativen Kokain, Speed und Rauchopium zu teuer oder schlicht nicht mehr angeboten sind. Selbstverständlich würde es immer noch Menschen geben, die sich trotz Legalisierung für die "härteren" Varianten entscheiden würden, entscheidend ist jedoch, dass die Wahl einer sichereren Alternative von der Prohibition elementar beschränkt wird.

Auch die Gewaltbereitschaft, die von vielen Händler_innen an den Tag gelegt wird, ist die direkte Folge eines Marktes, auf dem keine juristischen Auseinandersetzungen mit anderen Marktteilnehmer_innen möglich sind. Wenn ein Streit nicht vor Gericht ausgetragen werden kann, so setzt sich logischerweise das "Recht des Stärkeren" durch. Die Akteure, die heutzutage mit dem Drogenhandel ihr Geld verdienen, würden einen regulierten Drogenmarkt entweder nicht mehr interessant finden, oder ihre Verhaltensweisen anpassen müssen, um auf diesem zu bestehen.

"Es ist unverantwortlich, Drogen so zu verharmlosen"

Niemand, der eine Legalisierung von Drogen anstrebt (zumindest niemand, den ich kenne), möchte damit die Gefahren des Drogenkonsums verharmlosen. Im Gegenteil ist es gerade aufgrund der Gefährlichkeit von Drogen unverantwortlich, Handel und Profit in die Hände von Kriminellen zu legen. Diese unterliegen keiner staatlichen Qualitätskontrolle und können deshalb alles Mögliche zum Strecken ihrer Waren verwenden. Diese Streckmittel, die die Menge der Drogen größer erscheinen lassen, damit sie zu höheren Preisen verkauft werden können, sind häufig gefährlicher als die Drogen selbst.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Heroin. Während reines Diamorphin (der aktive Wirkstoff im Heroin) nach einer Studie des Forschers van Wely aus dem Jahr 1989 keine bleibenden körperlichen Schäden verursacht, ist die körperliche Verwahrlosung von Heroinkonsument_innen gut bekannt. Gerade bei Drogen wie Heroin, bei der die gewünschte Dosis und eine Überdosis sehr nah beieinander liegen, ist ein Unwissen über die Reinheit der Substanz (hierzulande gibt es leider immer noch kein flächendeckendes Drug-Checking) potenziell tödlich.


Des Weiteren stellt die Prohibition eine strukturelle Hürde für den Beginn von Therapien oder dem in Anspruch nehmen von anderen wichtigen Hilfsmaßnahmen (wie zum Beispiel Spritzentausch oder Drogenkonsumräume) dar, da Betroffene ständig fürchten müssen, für ihren Konsum bestraft zu werden. Dadurch schwindet auch das Vertrauen in Polizei und das Justizsystem, die für große, nicht kriminelle Teile der Bevölkerung nicht mehr als Freund sondern als Feind wahrgenommen werden.
Dass auf der anderen Seite auch unsere Ordnungshüter_innen sinnvollere Aufgaben als das Jagen von Kiffern und Junkies haben, liegt auf der Hand.

"Aber denk doch an die Kinder"

Ein weiteres Problem des Schwarzmarktes ist die aggressive und unkontrollierte Vermarktung der Drogen. Ich finde es erstaunlich, wie oft der Jugendschutz als Argument für die Prohibition genannt wird. Es ist unbeschreiblich wichtig, Kinder vor den negativen Folgen von Drogenkonsum, der sich gerade in jungen Jahren besonders auswirkt, zu schützen. Aber meinen Sie allen Ernstes, dass sich ein Dealer darum schert, wem er/sie seine/ihre Drogen verkauft?

Wirklicher Jugendschutz kann nur mit staatlicher Kontrolle, sowie ehrlicher und wirksamer Präventionsarbeit geleistet werden. Dass dieser Ansatz funktioniert, lässt sich am Beispiel Nikotin, dass immer weniger benutzt wird, erkennen. Eine positive Wirkung von Strafverfolgung auf den Drogenkonsum von Jugendlichen wurde hingegen niemals bewiesen. Warum geben wir also ca. 4 Milliarden € im Jahr für etwas aus, das gescheitert ist, während Prävention und Therapie immer noch chronisch unterfinanziert sind?


"Wir sind durch internationale Verträge gebunden"

In der Tat ist Deutschland durch internationale Konventionen an die Prohibition gebunden. Innerhalb dieser Richtlinien ist jedoch eine teilweise Entkriminalisierung der Konsument_innen und die Einführung von schadensmindernden Maßnahmen möglich. Maßnahmen wie Drug-Checking, verbesserte Substitution oder Herabstufung von Drogenbesitz als Ordnungswidrigkeit sind also auch ohne den Austritt aus der "Single Convention on narcotic Drugs" möglich und sollten schnellstmöglich umgesetzt werden.

Auch ein Austritt aus den internationalen Drogenhandelsabkommen dürfte nach dem Austritt Boliviens, das die Verträge vor einigen Monaten verließ, um traditionellen Kokaanbau zu ermöglichen, seinen Schrecken verloren haben. Der internationale Widerstand gegen den Krieg gegen Drogen wächst von Tag zu Tag. Uruguay hat als erstes Land der Welt geplant, Cannabis zu legalisieren und die Forderung nach der Legalisierung "härterer" Drogen wird inzwischen von immer mehr hochrangigen Politiker_innen ausgesprochen. Auch international anerkannte Persönlichkeiten wie Kofi Annan, der am Bericht der Global Commission on Drug policy, welcher ein Umdenken in der Drogenpolitik fordert, mitarbeitete, sind Gegner des "Drogenkriegs" geworden.
Es gibt also keinen besseren Zeitpunkt, um einen internationalen Paradigmenwechsel einzuleiten.

"Dann wählt uns ja keine_r mehr"

Ich möchte jetzt gar nicht damit argumentieren, dass zumindest die Kriminalisierung von Konsument_innen schon längst keine gesellschaftliche Mehrheit mehr findet, oder dass viele Wähler_innen aus dem Grün-alternativen Spektrum selbst Drogen konsumieren.

Ich möchte mich auf eine solche Diskussion schlichtweg nicht einlassen. Was wäre passiert, wenn wir Grünen vor 20 Jahren der öffentlichen Meinung über Atomkraft gefolgt wären? Die Glaubwürdigkeit unserer Partei hat sich schon immer daran festgemacht, dass wir auch unbeliebte Wahrheiten ausgesprochen haben und am Ende Recht behalten haben. Wenn wir ständig nur von Wahl zu Wahl gucken und unsere Inhalte dafür opfern, bestimmte Wähler_innenmilieus nicht zu verschrecken, werden wir auf absehbare Zeit nicht mehr von den "Volksparteien", die sowohl Wähler_innen als auch Mitglieder verlieren, zu unterscheiden sein. Realpolitik ist wichtig - das möchte ich hier gar nicht bestreiten - aber wenn sie zum Primat der Politik auserkoren wird und niemand mehr über den Tellerrand hinaus schaut, können gesellschaftliche Veränderungen nicht mehr stattfinden.

Fazit

Jetzt habe ich also ausführlich dargestellt, warum eine Legalisierung von Drogen der einzig vernünftige Umgang mit dieser Problematik ist. Wie aber soll eine Legalisierung konkret aussehen?
Da diese Fragestellung den Rahmen dieses Posts (und meiner Motivation) sprengen würde, werde ich mich diesem Thema in einem späteren Post widmen. Für alle, die diesen Post nicht abwarten wollen und mehr über mögliche Regulierungsmodelle erfahren möchten, verweise ich zum Einen auf das Modell des Drogenfachgeschäftes und zum Anderen auf die Publikation "Nach dem Kriege gegen die Drogen - Modelle für einen regulierten Umgang" von akzept e.V. .

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