Die neue Mittestudie der Universität Leipzig hat in den letzten Wochen für viel Aufregung gesorgt. In einer Zeit des erstarkenden Rechtspopulismus zeigt sie erneut, wie Anschlussfähig menschenfeindliche Positionen in der deutschen Gesellschaft sind und was Phänomene wie Pegida oder die AfD damit zu tun haben. Die schockierenden Ergebnisse des Fragebogens habe ich in grober Form schon auf Facebook beschrieben:
Darum soll es in diesem Post nicht gehen. Stattdessen möchte ich ein wenig tiefer in die subtileren Erkenntnisse der weiteren Untersuchung eindringen und politische Interpretationen liefern, die in der Studie in der Regel nicht vorgenommen werden. So kann dieser Post als Lesehilfe für die Studie aus progressiver Sicht verstanden werden. Ich teile den Post in mehrere Teile, die alle so autonom konzipiert sind, dass ein Teil auch ohne den anderen verständlich sein sollte. Rückbezüge werden sich trotzdem nicht immer vermeiden lassen.
Im ersten Teil des Posts analysiere und bewerte ich die demografischen Erkenntnisse der Studie. Im zweiten Teil gehe ich genauer auf den Punkt des Antisemitismus ein, da die Studie für ihre Betrachtung dieser Form von Menschenfeindlichkeit zurecht Kritik auf sich gezogen hat. Anschließend folgt eine Betrachtung der AfD und ihrer Anhänger*innen. Danach schließe ich diesen Post mit einem Ausblick und der Frage, inwiefern aus den Ergebnissen der Studie auch positive Entwicklungen hervorgehen.
DISCLAIMER: Dieser Post hat nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit, da Belege für getroffene Schlüsse zeitliche Ressourcen voraussetzen würden, die ich momentan nicht habe.
Die Demographie der Menschenfeindlichkeit
Demografische Betrachtungen sind im Kontext gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sehr interessant, da das Bild des ungebildeten, sozial abgehängten Mannes als repräsentativ für den Menschenfeind angesehen wird. Dieses Bild ist kritikwürdig, da es abwertende Ideologien als Folge niedriger Bildung ansieht und somit gleichzeitig eine Ausrede für derartige Einstellungen bietet und gebildete Bevölkerungsgruppen per se von Menschenfeindlichkeit ausnimmt (womit immer auch eine Abwertung der "Dummen" verbunden ist). Die Mittestudie ist eine gute Gelegenheit, dieses Bild einmal mehr auf seine Richtigkeit zu überprüfen.
In Bezug auf die Bildung scheint die Mittestudie das eben beschriebene Bild zu bestätigen. Menschen ohne Abitur zeigen Signifikant höhere Zustimmungsraten zu Aussagen, die eine Diktatur befürworten (5,7% vs. 2,6% mit Abitur), nationalchauvinistisch(18,9% vs. 8,7%), ausländerfeindlich (23,5% vs. 8,9%) oder antisemitisch sind (5,6% vs. 1,8%) (S.38). Das kann zum Einen daran liegen, dass es aufgrund mangelnder politischer Bildung tatsächlich einen Hang zu verkürzten Darstellungen komplexer Gesellschaftlicher Probleme gibt, die Feindbildkonstruktionen beinhalten können. Auf der anderen Seite könnte der sog. Erwünschtheitseffekt, bei dem Umfragen mit den sozial erwünschten statt den tatsächlich empfundenen Antwortmöglichkeiten beantwortet werden, in höheren Bildungsschichten ausgeprägter sein. Dies ließe sich dadurch erklären, dass Menschen mit höherer Bildung häufiger politische Inhalte in Medien konsumieren, die in der Regel Position gegen offene Menschenfeindlichkeit beziehen. Leider wurden in der Studie keine Analysen des Mediennutzungsverhaltens der Befragten vorgenommen, sodass diese Erklärung nicht geprüft werden kann.
Bezüglich der Parteipräferenzen von Menschen mit geringem Bildungsgrad lässt sich eine Zweiteilung des Parteienspektrums feststellen. (S.70) Während bei FDP (33,3% Abitur), Linken (35,9%) und Grünen (40,7%) jeweils jede*r dritte*r Wähler*in das Abitur gemacht hat, sind es bei CDU/CSU (22,5%), SPD (19%) und AfD (16,2%) deutlich weniger als 1/4. Nichtwähler*innen (9,6%) haben das geringste Bildungsniveau, was mit der schlechteren politischen Bildung in unteren Schulformen zu erklären ist. Hier findet sich bereits ein Hinweis darauf, wieso die AfD ein derart hohes Mobilisierungspotenzial bei Nichtwähler*innen hat: sie ist selbst im bildungsfernen Milieu verortet und zieht deshalb eher Menschen aus dieser Gruppe an.
Auch das Stereotyp des männlichen Wutbürgers lässt sich anhand der Daten bestätigen. Mit Ausnahme der Dimension des Sozialdarwinismus werden alle abgefragten Arten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit deutlich häufiger von Männern vertreten. Ich vermute, dass das gesellschaftlich vermittelte Bild von Männlichkeit dafür ursächlich ist. Männern wird in geringerem Maße zugestanden, eigene Fehler zu begehen, sodass Misserfolge im eigenen Lebenslauf eher auf andere projiziert werden. Dass für solche Projektionen besonders gesellschaftliche Randgruppen geeignet sind, denen im öffentlichen Diskurs ein ohnehin geringerer Wert zugesprochen wird, sollte offensichtlich sein. Darüber hinaus ist eine nach außen gerichtete Projektion eher mit dem aggressiven Männlichkeitsbild vereinbar. Während Frauen* die Agression häufig in Form von Depressionen gegen sich selbst richten, werden Männer auf Fremdaggression sozialisiert.
Die häufig vorgebrachte Behauptung, Menschenfeindlichkeit finde sich in Ostdeutschland häufiger, wird durch die Studie nicht bestätigt (S.37). Lediglich bei der Befürwortung einer Diktatur (7,6% Ost vs. 4,3% West) und beim Sozialdarwinismus (5,0% vs. 3,0%) lassen sich signifikant höhere Werte im Osten feststellen. Beim Sozialdarwinismus liegt die Eklärung nahe, dass dies an der schlechteren wirtschaftlichen Situation im Osten liegt, die eher auf die sozial benachteiligten Schichten projiziert wird als auf kapitalistische Sachzwänge (Näheres dazu könnt ihr in meinem Post zu Hartz 4 lesen). Bei der Befürwortung der Diktatur hilft ein Blick auf die Aufschlüsselung nach Alter (S.39), die bei Ostdeutschen über 61 ganze 11,2% Zustimmung ergibt (die selbe Altersgruppe im Westen weist 3,9% Zustimmung auf). Dies lässt sich mit einer schlechteren NS-Aufarbeitung in der DDR erklären. Auch die Tatsache, dass die älteste Bevölkerungsgruppe die längste DDR-Sozialisation durchlaufen und die prosperierendsten DDR-Jahre erlebt haben, dürfte hier eine Rolle spielen. Auch junge Ostdeutsche unter 30 befürworten eine Diktatur mit 8,3% vergleichsweise hoch (3,4% im Westen). Allerdings sind in dieser Gruppe nur 98 Menschen befragt worden, was das Ergebnis nicht signifikant macht.
Erwerbslose, denen häufig Menschenfeindlichkeit unterstellt wird, zeigen in der Betrachtung der Studie (S.40) höhere Werte als Menschen mit anderem Erwerbsstatus, diese sind aufgrund der niedrigen Gruppengröße (134 Erwerbslose haben geantwortet) jedoch nicht signifikant, weswegen die Studie hierüber keine Aussagen treffen kann. Die 264 Gewerkschaftsmitglieder jedoch, die in der Studie befragt wurden, haben in den Dimensionen "Befürwortung Diktatur" (7,6% vs. 4,7% bei fehlender Gewerkschaftsmitgliedschaft) und "Ausländerfeindlichkeit" (25,0% vs. 19,8%) signifikant höhere Zustimmungswerte. Bei der Ausländerfeindlichkeit liegt eine gefühlte Arbeitsplatzkonkurrenz nahe, während mir bezüglich der Diktaturbefürwortung kein Erklärungsmuster einfällt. In jedem Fall ist die Gewerkschaftsbewegung gefordert, diese Einstellungen ihrer Mitglieder zu reflektieren und ihre vielfältige Arbeit gegen Menschenfeindlichkeit fortzusetzen.
Nicht unerwähnt sollte auch die Aufschlüsselung der Konfessionen (S.42) bleiben. Im Bereich der Ausländerfeindlichkeit haben sowohl evangelische (21,0% Zustimmung) als auch katholische (22,7%) Befragte deutlich und signifikant höhere Zustimmungsraten als Konfessionslose (18,7%). Ob dies mit einer höheren Islamfeindschaft bei Christ*innen erklärt werden kann, ist leider nicht zu beantworten, da eine entsprechende Aufschlüsselung der Islamfeindschaft durch die Studie leider nicht vorgenommen wurde. Ebenfalls interessant ist, dass katholische Befragte deutlich häufiger (3,7% vs. 0,9% (evang.) und 1,5%) zu einer Verharmlosung des NS-Regimes neigen. Ob dies mit der Kollaboration zwischen Vatikan und Hitler zusammenhängt, ist schwer zu überprüfen. Aufgrund der vergangenen Zeit zwischen dem 3. Reich und heute ist diese Erklärung jedoch unwahrscheinlich.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Mittestudie einige beliebte Interpretationsweisen der Demografischen Aspekte von Menschenfeindlichkeit zu stützen scheint, an vielen Stellen jedoch auf weitergehende Analysen verzichtet, die in den Punkt der Demografie mehr Klarheit bringen würde. Interessant für weitere Forschungsarbeit sind die Ergebnisse allemal.
Antisemitismus
In Bezug auf den gesellschaftlichen Antisemitismus stellt die Mittestudie fest, dass dessen Zustimmung "in der Tendenz insgesamt rückläufig" (S.44) ist. Während bei der ersten Mittestudie 2002 9,3% der Befragten als antisemitisch klassifiziert worden, fallen 2016 nur noch 4,8% der Befragten in diese Kategorie. Diese Entwicklung ist deutlich positiv, zeigt jedoch nur einen kleinen Bereich des antisemitischen Ressentiments.
Die einzige Antisemitismusvariante, die im Fragebogen abgefragt wurde, ist der manifeste und offen geäußerte rassistisch oder kulturalistisch begründete Antisemitismus. Ein solcher Antisemitismus, der ohne Umwegkommunikationen offen die Jüd*innen als Schuldige für alles Böse in der Welt darstellt, ist im modernen Antisemitismus eine Randerscheinung. Häufiger ist eine Ausdrucksweise, die Israel, Banker, die Fed, die Bilderberger oder Massenmedien beschimpft, aber eigentlich Jüd*innen damit meint. Diesen modernen Antisemitismus lässt die Mittestudie einfach außen vor.
Besonders ärgerlich ist die Auslassung des modernen Antisemitismus, da viele seiner Elemente in der Studie untersucht, jedoch nie mit Antisemitismus in Verbindung gebracht werden. Zum Beispiel werden Verschwörungsmentalitäten untersucht, die sich in der Regel antisemitisch ausprägen (die Verschwörer*innen werden entweder explizit als Juden benannt oder besitzen stereotype jüdische Charakterzüge). Auch der Begriff "Lügenpresse", der im Endeffekt nur eine weniger auffällige Version des Wortes "Judenpresse" darstellt, wird in der Studie untersucht. Vor diesem Hintergrund werde ich in der Antisemitismusanalyse vor allem auf diese beiden Aspekte eingehen (Fragen über Israel sind leider überhaupt nicht gestellt worden, obwohl diese Umwegkommunikation vermutlich eine der am häufigsten anzutreffenden ist. Auch Antiamerikanismus und Antimodernismus wurden nicht abgefragt).
Die Betrachtung der Verschwörungsmentalität (S.61) gibt einen guten Hinweis darauf, wie stark antisemitische Gedankenmuster in Deutschland anschlussfähig sind. So stimmen etwa 38,6%
der Befragten der Aussage "Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben." zu, nur 39,2% lehnen sie ab. Der deutlich klarer antisemitisch konnotierten Aussage "Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte." stimmen immerhin noch 34,8% der Befragten zu (Ablehnung 37,2%). Diese Zahlen sind alarmierend, in der Entwicklung ist die Gesamtzustimmung (37,7% 2012 auf 33,3%) zu den Verschwörungsitems jedoch seit 2012 deutlich gesunken, insbesondere im Osten (49% auf 38,4%). Wie diese Veränderung mit Bewegungen wie dem "Friedenswinter" und Pegida in Einklang zu bringen ist, wird leider nicht deutlich, da diese Dimension des Antisemitismus in der Studie nicht weiter aufgeschlüsselt wird. Lediglich bei der Parteipräferenz wird differenziert (S.92). Wenig überraschend zieht neben der AfD (65,3%) vor allem die Linkspartei (44,6%) Verschwörungsgläubige an. Der Einfluss von Personen wie Sarah Wagenknecht und Dieter Dehm ist hier unverkennbar. Lediglich die Anhänger*innen der FDP stimmen zu weniger als einem Viertel den Verschwörungsideologien zu (22%). Dies ist vermutlich damit zu erklären, dass sich Verschwörungsgedanken häufig auf reiche Geschäftsleute beziehen, die traditionell von der FDP positiv bewertet werden. Interessanter wäre bei der Möllemann-Partei wohl eine Frage zu Israel gewesen.
Den antisemitisch geprägten Begriff der Lügenpresse wollen 58,8% der Deutschen nicht ablehnen (S.63). Der Aussage "Wenn Sie an Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschland denken, würden Sie persönlich dann von Lügenpresse sprechen?" wollten jedoch auch "nur" 14% der Befragten zustimmen. 44,9% antworten "teils, teils". Hierin liegt die große methodische Schwierigkeit in der Fragestellung. Eine "teils, teils"-Antwort könnte mit verschiedensten Assoziationen der Befragten verbunden sein. Die naheliegendste Interpretation ist, dass sich Menschen der sozialen Unerwünschtheit ihrer Aussage bewusst sind, sie aber nicht komplett ablehnen wollen, und mit der Antwort einen einfachen Ausweg aus einer emotional stressigen Befragungssituation wählen (auch anonymisierte Befragungen verursachen solche Effekte). Weiterhin ist denkbar, dass jemand die meisten Medien als Lügenpresse bezeichnen würde, den Kopp-Verlag oder Russia Today jedoch als sehr seriös ansieht (oder vice versa). Schließlich könnte auch gemeint sein, dass Zeitungen manchmal etwas falsches schreiben und bewusst verzerren, jedoch nicht pauschal als "Lügenpresse" dargestellt werden können. Diese verschiedenen Interpretationen hätte man mit einigen Zusatzfragen unterstützen oder widerlegen können, so bleibt die größte Antwortkategorie der Spekulation überlassen. Betrachtet man nur die Zustimmung, so ist diese erwartbarerweise im Osten höher (18,2% vs. 12,9%). Parteipolitisch finden sich die Benutzer*innen des Wortes vor allem bei der AfD (41,3%), den Nichtwähler*innen (20,1%) und der Linkspartei (15,4%), während die Zustimmungsraten vor allem bei Grünen (6%) und FDP (4%) niedrig sind. Diese Erkenntnisse decken sich mit dem Bereich der Verschwörungsideologien.
Nimmt man die Zustimmung zum Lügenpressevorwurf und zu den Verschwörungsideologien als Grenzwerte für eine grobe Einschätzung des Antisemitischen Potenzials in Deutschland, so sind mindestens 14-33% der Deutschen antisemitisch oder gegenüber antisemitischen Parolen offen. Weit mehr als die 4,8%, die mit dem Ursprungsfragebogen gefunden werden konnten (S.37). Rechnete man den Erwünschtheitseffekt heraus und stellte Fragen zu Israel, könnte die von mir genannte Zahl noch das reale antisemitische Potential unterschätzen.
AfD - Die Alternative für Menschenfeinde
Das Erstarken der "Alternative für Deutschland" ließ viele politische Kommentator*innen ratlos zurück. Eine rechtspopulistische Partei passte nicht ins gewünschte Bild eines geläuterten Deutschlands. Tatsächlich blieb Deutschland im europäischen Vergleich lange vom Rechtsruck in den Parlamenten verschont. Als die AfD schließlich in ihrer Gründung begriffen war, wurden Parallelen zu den Republikanern und anderen rechten Parteien gezogen, die in vergangenen Jahrzehnten ebenso schnell wieder gegangen wie gekommen waren. Nach den ersten Parlamentseinzügen und einer Stabilisierung in den Umfragen wurde die AfD zunächst als Protestpartei abgekanzelt, der spätestens nach dem Austritt Bernd Luckes und dem darauf folgenden Rechtsruck das Scheitern drohe. Doch auch diese Vorhersage stellte sich als falsch heraus. Jetzt wird immer mehr Menschen klar, dass die AfD nicht trotz, sondern wegen ihres menschenfeindlichen Programms gewählt wurde. Die neue Mittestudie bietet eine der ersten Möglichkeiten, die Wähler*innen der inzwischen deutlich rechtsextremen Partei genauer zu betrachten und zu beschreiben. Das möchte ich im Folgenden versuchen.
Wähler*innen der AfD werden häufig als alte, ungebildete Männer dargestellt. Diese Vorstellung stimmt zum großen Teil. AfD-Wähler*innen haben zu 16,2% Abitur (S. 70), was dem niedrigsten Bildungsgrad aller dargestellten Parteien entspricht. Nur die Nichtwähler*innen sind noch weniger formal gebildet (9,6%). AfD-Wähler*innen sind zu fast 2/3 männlich (S.71) und haben unterdurchschnittlich häufig ein Haushaltseinkommen über 2500€ (S.73). Ihre Demografie birgt jedoch auch Überraschungen. So hat die Partei ungefähr den gleichen Prozentsatz an Wähler*innen mit einem Haushaltseinkommen unter 1250€ wie die Grünen (18,7% vs. 18,1%) und deutlich weniger als die Linken (23,1%), sie ist also entgegen mancher Darstellungen keine Partei der Geringverdiener*innen, wobei das Haushaltseinkommen nur bedingt aussagekräftig ist, wenn man die vermutlich eher Familienorientierte Werteeinstellung der AfD-Sympathisant*innen und die damit einhergehende größere Haushaltsgröße bedenkt. Hierzu wäre eine Aufschlüsselung sehr sinnvoll gewesen. Entscheidender, vorgreifend auf den Ausblick im nächsten Abschnitt, ist wohl das geringe Durchschnittsalter (46,9 Jahre, S.71) der AfD-Wähler*innen, das nicht auf eine rosige Zukunft der Demokratie in Deutschland hoffen lässt. Nur die Grünen (42 Jahre) haben eine jüngere Wähler*innenschaft. Auch die Konfessionszugehörigkeit fällt überraschend aus (S.72). Nach den Linken (54,6%) hat die AfD mit 43% den größten Anteil von Konfessionslosen in ihrer Wähler*innenschaft. Dies ist zum Einen verwunderlich, da viele AfD-Positionen christlich-konservativ sind (etwa die Familienpolitik und den Umgang mit alternativen Sexualitäten), zum Anderen widerspricht es dem Befund, dass Konfessionslose eher niedrigere Werte in den Feldern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufweisen. Ich habe momentan keine Erklärungsangebote für diese Beobachtung.
In Bezug auf die menschenfeindlichen Einstellungen ihrer Mitglieder wird deutlich, dass die AfD sowohl bei Nichtwähler*innen und Unentschiedenen als auch den "Volksparteien" anschlussfähig ist. Bei fast allen Dimensionen der Menschenfeindlichkeit (ab S.74 aufgeschlüsselt) folgen auf die höchsten Werte der AfD die Nichtwähler*innen/Unentschiedenengruppe und dann die Volksparteien. Auch bei ihrer fehlenden Zustimmung zur Demokratie sind Nichtwähler*innen und AfD nah beieinander (S.79). Bei der Abwertung von Roma (S.83) haben die Wähler*innen der FDP (62,7%) abweichend höhere Zustimmungswete als die Volksparteien, was an dem Verhältnis der Partei zum Leistungsideal liegen könnte. Auch beim Sexismus ist die Brüderle-Partei mit 14% Zustimmung zweite hinter der AfD (19,7%) (S.88). Entgegen der Behauptung einiger AfD-Spitzen, die Partei sei nicht rechts, sondern die Partei des gesunden Menschenverstands, deutet die Selbsteinschätzung ihrer Sympathisant*innen auf eine klare Identifizierung als rechts hin (S.88).
Die AfD zeigt sich in der Mittestudie klar als die Partei des rechten Mobs. 41,3% ihrer Wähler*innen stimmen dem Ressentiment der "Lügenpresse" zu (S.89), 70,4% unterstützen die Pegida-Bewegung (S.90), 65,3% besitzen eine Verschwörungsmentalität (S.92) und 47,4% beschreiben sich selbst als Gewaltbereit (S.91). Es ist höchste Zeit, die Diskussion um den Charakter der AfD zu beenden. Die AfD ist eine offen rechtsextreme, gewalttätige und demokratiefeindliche Bewegung, die das Potenzial hat, den demokratischen Verfassungsstaat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Dies zeigt sich im Auftreten der AfD-Politiker*innen wie in den Einstellungen ihrer Wähler*innenbasis. Die neue Mittestudie liefert hier Belege, denen schwer zu widersprechen sein dürfte.
Ausblick
Die Frage, die sich den meisten Leser*innen dieses Posts angesichts des anhaltenden Rechtsrucks in Europa stellen wird, ist die nach der Zukunft des Rechtspopulismus in Deutschland. Während ich bislang meist (auch aufgrund fehlender Daten) bei einer statischen Analyse verblieben bin, werde ich in diesem Abschnitt stärker auf Veränderungen über die Zeit eingehen, die zumindest Teilweise in der Mittestudie aufgezeigt werden. Die Entwicklung der Rechtsextremismusdimensionen seit 2002 (Ab S.43) scheint hier weniger interessant zu sein, als die Betrachtung der Zusatzfragebögen. Es sei erwähnt, dass die Ausländerfeindlichkeit vor allem seit 2012 deutlich zurückging, aber immer noch sehr hoch ist.
Als ersten Punkt stellt die Mittestudie bei der Auswertung der Zusatzfragebögen die Abwertung von Menschen muslimischem Glaubens heraus, die sich so entwickelt hat, wie es die öffentlichen Debatten der letzten Jahre vermuten lassen. Während 2009 21,4% Muslimen die Zuwanderung verweigern wollten, sind es heute schon 41,4%. Hier zeigen sich die Auswirkungen des weltweiten islamistischen Terrors und der darauf folgenden Debatte, inwiefern "der Islam" zu Deutschland gehöre. Angesichts des Erstarkens der AfD und vorraussichtlich weiterer Anschläge durch den IS kann in diesem Punkt keine positive Entwicklung erwartet werden. Stattdessen werden als muslimisch markierte Menschen auch in Zukunft um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie durch deutsche Straßen gehen.
Bei der Abwertung von Asylbewerber*innen und Roma zeigt sich ein ähnliches Bild. Die von konservativer Seite vorangetriebene Debatte um "Armutszuwanderung" und "Asylmissbrauch" hat hier volle Wirkung entfaltet. Inzwischen möchten 49,6% der Deutschen Roma aus den Innenstädten verbannen und 59,9% sprechen Asylbewerber*innen einen legitimen Fluchtgrund ab (S.50). Ob sich diese Entwicklung angesichts zurückgehender Flüchtlingszahlen verlangsamen wird, ist mehr als fraglich, zumal Ressentiments nicht sachlich getrieben sind und sowohl AfD als auch rechte Propagandamedien kontinuierlich ideologischen Nachschub für die rassistische Filterbubble liefern. Über die Abwertung von Homosexualität ließe sich ähnliches konstatieren, weswegen ich im Folgenden nicht genauer auf sie eingehen werde.
Die einzige teilweise positive Aussicht, die sich aus der Mittestudie ziehen lässt, liegt in der Analyse politischer Milieus. Anhand ihrer Antworten wurden die Teilnehmenden in 6 Gruppen eingeteilt, die ihre Menschenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft und Akzeptanz der Demokratie widerspiegeln. Während 2006 noch 36,9% den demokratischen Milieus zugerechnet werden konnten, sind es heute 59,9% (S.104). Ein Wermutstropfen dabei liegt in der Tatsache, dass der größte Anstieg in dieser Gruppe (13,6% auf 29,3%) beim "Konformen Milieu" zu verzeichnen ist, dass sich durch relativ geringe Menschenfeindlichkeit bei hoher Autoritätshörigkeit auszeichnet. Es ist klar, dass man auf diese Menschen nicht hoffen kann, wenn es darum geht, menschenfeindliche Asylgesetze zu verhindern oder dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenzutreten. Im Gegenteil zeigt diese Gruppe neben dem Autoritarismus auch eine hohe Ausländerfeindlichkeit (S.116) und wählt zu immerhin 7% die AfD. In Bezug auf antidemokratische Milieus wird klar, wie der parlamentarische Rechtsruck der Gesellschaft zu erklären ist. Sie werden zwar Zahlenmäßig kleiner, sind nun aber nicht mehr bei den Volksparteien gebunden. Nehmen wir als Beispiel das radikalste Milieu , das als "rebellisch-autoritäres Milieu" bezeichnet wird (S.133). Während in diesem Milieu seit 2006 die Wahlabsicht sowohl für die Union (33,6% vs. 15,7%) als auch für die SPD (32,6% vs. 12,9%) drastisch gesunken ist, geben 29,3% aus diesem rechtsextremen Milieu an, die AfD wählen zu wollen. Hier liegt der Hauptgrund für den Erfolg der AfD: sie vertritt das, was viele ehemalige Wähler*innen der Volksparteien insgeheim immer dachten.
Was bleibt nach diesem Kurzdurchlauf durch die Mittestudie nun noch zu sagen. Ein kohärentes Fazit scheint nach vielen widersprüchlichen Erkenntnissen kaum möglich. Menschenfeindliche Einstellungen sind so stark vorhanden wie eh und je. Jetzt haben sie mit der AfD eine Partei, die sie aggressiv sichtbar macht und propagiert. Die AfD wird vermutlich darin fortschreiten, die Wähler*innen zu binden, die sich früher bei den Volksparteien wohl fühlten. Das einzige Gegenmittel dagegen wird es sein, Menschenfeindlichkeit jeder Form immer und überall entschlossen entgegenzutreten. Es wird ein harter Kampf
Freitag, 1. Juli 2016
Die enthemmte Mitte - eine politische Bewertung der Mittestudie
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