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Mittwoch, 23. September 2015

TiSA: Was uns erwartet

In den letzten Monaten ist Freihandelspolitik immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Die Diskussion um die Abkommen TTIP und CETA hat eine größere öffentliche Sensibilität für die Gefahren derartiger Verträge erzeugt (eine Einführung in die Abkommen habe ich auf Youtube hochgeladen). Diese Entwicklung ist angesichts der seit dem Vertrag von Lissabon neuen Zuständigkeit der EU-Kommission für Investitionsschutzabkommen sehr zu begrüßen. Weitreichende Einschnitte wie durch TTIP und CETA dürfen nicht an der Zivilgesellschaft vorbei entschieden werden, sondern müssen idealerweise einen breiten Diskussionsprozess durchlaufen. An Kontroversen scheint es bei den Abkommen momentan nicht mehr zu mangeln.

Relativ unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit laufen jedoch Verhandlungen zu einem Abkommen, das ähnlich weitreichende Folgen wie TTIP oder CETA haben könnte: TiSA. Das "Trade in Services Agreement" wird seit Anfang 2013 von ca. 50 Staaten (eine geographische Übersicht der Verhandlungsparteien findet sich hier) verhandelt, die sich selbst als "Really Good Friends of Services" bezeichnen. TiSA soll die WTO-Bestimmungen zum Handel mit Dienstleistungen, die im GATS-Abkommen ("General Agreement on Trade in Services") festgelegt sind, erweitern und mittelfristig ersetzen. Da etwa noch unklar ist, ob und unter welchen Bedingungen China am Abkommen teilnehmen wird, verzögern sich die Verhandlungen und sind weniger weit fortgeschritten als bei den oben erwähnten Abkommen. Trotzdem sollte die Zivilgesellschaft möglichst früh beginnen, sich mit den weitreichenden Auswirkungen von TiSA zu beschäftigen und die Gegenmobilisierung zu organisieren. Im Juli erschienen auf Wikileaks die aktuellsten geleakten Dokumente der Geheimverhandlungen, was einen idealen Aufhänger bietet, sich auch auf diesem Blog genauer mit TiSA zu beschäftigen. Im Folgenden Post beschreibe ich deshalb einige grundlegende Probleme des TiSA-Abkommens und beziehe mich dabei auf den Wikileaks-Leak sowie einen früheren Report von Public Services International.

Warum TiSA?

Die Grundidee der Welthandelsorganisation (WTO) war es, internationalen Handel multilateral (also mit allen Ländern) zu verhandeln und für alle verbindlich zu machen. Die wichtigsten daraus entstandenen Freihandelsabkommen sind das GATT ("General Agreement on Tariffs and Trade") für den Warenhandel und das bereits erwähnte GATS für den Dienstleistungssektor. Die dort beschlossenen weitgehenden Liberalisierungen gelten für alle WTO-Mitglieder. Ursprünglich war geplant, diese Abkommen multilateral weiterzuverhandeln, doch die Interessen unterschiedlicher Länder sind momentan so divergent, dass eine Einigung über weitere Liberalisierungen unwahrscheinlich scheint. Dieser Umstand führte bei vielen Staaten zu einer Änderung der handelspolitischen Strategie. An die Stelle der stockenden multilateralen Verhandlungen traten immer mehr bilaterale (TTIP, CETA) oder plurilaterale (TiSA) Verhandlungen.

Die an TiSA beteiligten Staaten versuchen mit dem Abkommen, eine weitergehende Liberalisierung aller Dienstleistungen als weltweiten Standard zu setzen. Da die "Really good Friends of Services" in diesem Bereich ähnliche Interessen haben, sollten die Verhandlungen schneller abzuschließen sein als in einem vergleichbaren multilateralen Abkommen. Aufgrund der hohen Marktanteile der beteiligten Staaten im Dienstleistungssektor wären Staaten außerhalb des Abkommens jedoch schnell gezwungen, die selben Standards zu etablieren, wenn sie nicht vom weltweiten Dienstleistungsmarkt ausgeschlossen sein wollen. Auch wenn noch viele juristische Unklarheiten darüber bestehen, wie TiSA neben dem GATS-Regelwerk existieren kann und ob die Regeln später auf die gesamte WTO übertragbar sind, ist die Intention einer Umgehung der WTO (und damit der ärmsten Staaten der Welt und sonstiger Abweichler) offensichtlich. Wer TiSA zulässt, gefährdet also den Multilateralismus und die Legitimität der WTO grundlegend.

"Gleichbehandlung"

Was sind nun die konkreten Punkte, die in TiSA geregelt werden sollen und über die GATS-Regeln hinausgehen? Neben Verschärfungen der Regeln, welche Regierungsmaßnahmen den Grundsatz des "National Treatment", der Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Dienstleistungsanbieter*innen, enthalten, sind vor allem die Ausnahmebestimmungen dieser "National Treatment"-Regeln entscheidend verändert worden. Während sich Staaten im GATS über eine "Positivliste" verpflichteten, bestimmte Sektoren ihrer Wirtschaft zu liberalisieren, steht ihnen in TiSA nur noch eine "Negativliste" zur Verfügung, die alle von der Liberalisierung ausgenommenen Sektoren aufzählt.

Der Negativlistenansatz bedeutet Konkret, dass jeder (auch zukünftig neu entstehende) Dienstleistungssektor standardmäßig vollständig liberalisiert wird. Damit verbunden ist ein Verbot der Subvention inländischer Unternehmen, gesetzlicher Monopole für bestimmte Dienstleistungen und anderer Maßnahmen. Bereits ein indirekter Einfluss einer Regierungshandlung oder eines Gesetzes auf den Handel mit Dienstleistungen reicht aus, um einen Disput nach den Regeln von TiSA auszulösen. Hier besteht großer Spielraum für Interpretationen und damit auch für Missbrauch durch Konzerne, die bestimmte Gesetze ablehnen.

Nichts aus der Finanzkrise gelernt?!

Was eine nationale Behandlung konkret bedeuten kann, lässt sich gut am Anhangstext zu Finanzdienstleistungen verdeutlichen, der auf Wikileaks ausführlicher als hier analysiert wird. Bei Betrachtung der diskutierten Liberalisierungen lässt sich die Frage stellen, ob die beteiligten Regierungen zukünftige Finanzkrisen wahrscheinlicher machen wollen, oder einfach nur vollkommen in ihrer marktradikalen Ideologie gefangen sind: Bestehende Finanzmarktregularien werden einer Anfechtung durch private Schiedsgerichte ausgesetzt, die Regulierung zukünftiger riskanter Finanzprodukte wird durch Stillhalteklauseln verboten und auch wichtige Notmaßnahmen wie Kapitalkontrollen sind im neoliberalen Regelwerk von TiSA nicht mehr vorgesehen.

Einige Punkte des TiSA-Textes zu Finanzdienstleistungen kennen wir schon von TTIP und CETA. Zum Einen ist hier der regulatorische Rat zu nennen, in dem Finanzdienstleistungsunternehmen vor jeder Regulierung des Finanzsektors befragt werden müssen, ob die Regulation ihre Geschäftstätigkeit einschränkt. Diese Beratung kostet vor allem wertvolle Zeit. Zum Anderen besteht auch die Pflicht, Regulierungen weiter nach unten zu "harmonisieren" oder liberalere Regeln aus anderen Staaten als gleichwertig anzuerkennen. Somit ist mit TiSA ein "Race to the bottom" mit immer schwächeren Standards weltweit vorprogrammiert.

Öffentliche Beschaffung

Ein wichtiger Aspekt der TiSA-Verhandlungen ist die öffentliche Beschaffung, die ebenfalls in einem eigenen Anhang geregelt ist. Die Besonderheit dieses Bereiches liegt darin, dass er nicht Teil des GATS-Abkommens war, sondern ein eigenes "Government Procurement Agreement" (GPA) in der WTO betrifft, dem weit weniger Staaten beigetreten sind. Da öffentliche Beschaffung einen Großteil des weltweiten BIP ausmacht und in den meisten Staaten der Erde noch deutliche Vorteile für öffentliche oder lokale Anbieter*innen existieren, sind die Profitmöglichkeiten durch eine Liberalisierung besonders groß.

Öffentliche Beschaffung unterliegt wie alle Bereiche im TiSA-Abkommen einer strengen Liberalisierung. Dienstleistungen, die unter TiSA einmal dem Markt geöffnet worden, können nicht mehr unter die bisherige Marktkontrolle der Staaten gebracht werden. Sowohl Marktzugangsbeschränkungen nicht-lokaler Anbieter*innen als auch Preispräferenzen für lokale Unternehme wären unter TiSA verboten. Damit wird auch für zukünftige Regierungen die Möglichkeit genommen, über öffentliche Auftragsvergaben Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die ohnehin schwachen Ausnahmeklauseln für hoheitliche Aufgaben, die im GATS enthalten sind, sollen mit TiSA wegfallen. Somit wären alle Bereiche des Staates der Privatisierung unterworfen.

Transparenz?

Die Diskussionen um TTIP und CETA haben gezeigt, dass Transparenz in Handelsverhandlungen für deren öffentliche Wahrnehmung entscheidend ist. Tatsächlich enthält der TiSA-Text einen Anhang zu Transparenz. Doch die "Really good Friends of Services" verstehen etwas ganz anderes unter Transparenz als es sich die Zivilgesellschaft wünschen würde. Während die Verhandlungen zu TiSA völlig geheim ablaufen (die Verhandlungsparteien haben sich bereits zusichern lassen, dass ihre Verhandlungsdokumente und der TiSA-Text noch 5 Jahre nach dem Inkrafttreten von TiSA geheim bleiben) und nur durch Leaks an die Öffentlichkeit gelangen, soll Konzernen unter TiSA ein exklusiver Zugang zum Gesetzgebungsprozess eingeräumt werden.

Tritt TiSA in der jetzigen Form in Kraft, müssen alle Gesetzesentwürfe oder Regierungsentscheidungen mit 60-tägiger Vorlauffrist an die anderen TiSA-Staaten sowie interessierte Unternehmen gegeben werden. Diesen wird die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, ob die vorgeschlagenen Gesetze den Handel mit Dienstleistungen einschränken. Auf diese Stellungnahmen müssen Regierungen antworten, bevor sie Gesetze beschließen können. Da die Anzahl möglicher Einwände durch Firmen und Staaten unbegrenzt ist, würde dieses Prozedere demokratische Prozesse entscheidend verlangsamen. Die USA und Australien fordern gar ein "Tribunal", das über die Zulässigkeit von Gesetzen anhand ihrer Auswirkungen auf den Handel mit Dienstleistungen entscheiden soll, und demokratische Prinzipien wohl vollends über Bord werfen würden.

Werden die Konzerne einer ähnlichen Transparenzverpflichtung wie die Regierungen unterworfen sein? Damit ist nicht zu rechnen. Stattdessen fordert etwa die Schweiz, breit angelegte Bestimmungen zu "Geschäftsgeheimnissen" in TiSA aufzunehmen, die Firmen vor dem behördlichen Zugriff auf ihre Daten schützen soll. Ob diese Forderung ein Weg ist, das de facto abgeschaffte Bankgeheimnis der Schweiz und somit den Status als Steueroase über die Hintertür TiSA wiederherzustellen, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Ob die Schweiz mit ihrem Vorschlag erfolgreich sein wird, ist ebenfalls offen. Fest steht, dass keine Erhöhung von Transparenzverpflichtungen für Unternehmen diskutiert werden.

Fazit

Bereits dieser kurze Ausschnitt aus dem Verhandlungsstand zu TiSA zeigt: dieses Abkommen hat das Potenzial, demokratische Prozeduren und sinnvolle Regulierungen des Dienstleistungssektors auszuhebeln. Wer zu recht Widerstand gegen TTIP und CETA leistet, muss deshalb auch über TiSA reden. Es ist an der Zeit, dieses Abkommen ins Bewusstsein der Anti-TTIP-Bewegung und schließlich auch der Öffentlichkeit zu rücken! Es zu stoppen ist aufgrund der höheren Anzahl von Verhandlungsparteien wohl noch schwieriger und wird einiges an Vorlaufzeit benötigen. Packen wir es an!