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Donnerstag, 7. November 2013

"Ökozid" mit Haftstrafen beenden? Nicht mit mir!

Die Europäische Bürger*inneninitiative "End Ecocide" wird von anerkannten Persönlichkeiten unterstützt und derzeit häufig in Grünen Kontexten verbreitet. Während die Mehrheit der Äußerungen unterstützend waren, kann ich der EBI nicht meine Stimme geben. Um meine Position zum Thema auszudrücken, habe ich diesen, aus meiner Sicht sehr pointierten und zutreffenden, Blogpost von Alexander Nabert geteilt. Dabei bin ich häufig auf Unverständnis beziehungsweise harsche Ablehnung gestoßen.

Der Gegenwind bezog sich zumeist auf die Kritik am Begriff "Ökozid". Mir (und Alex) wurde vorgeworfen, dass ich eine eigentlich unterstützenswerte Alternative durch den Bezug auf eine unglückliche Begriffswahl diskreditiere. Dabei geriet der zweite Teil von Alex' Kritik ins Hintertreffen, obwohl er aus meiner Sicht viel entscheidender für die Ablehnung der EBI ist. Oder um es anders zu formulieren: der Begriff "Ökozid" ist aus historischen Gründen unmöglich, die Initiative wäre allerdings auch mit einem anderen Titel nicht unterstützungswürdig.

Meine inhaltliche Kritik am Aufruf werde ich im Folgenden durch eine Entgegnung auf drei Argumente, die in der Debatte immer wieder aufkamen, darlegen. Die Argumente stammen von den wenigen Menschen, welche sich sachlich und konstruktiv mit dem zweiten Teil der Argumentation ("es ist eine Systemfrage") auseinandergesetzt haben. Ebenso freue ich mich über konstruktive, sachliche und gerne auch kontroverse Kommentare zu diesem Post.

Die Frage der Verantwortung

Ein beliebtes Argument gegen Verweise auf systematische Zwänge lautet in leichten Variationen folgendermaßen: "Wer die Initiative mit Verweis auf die Systemfrage ablehnt, bietet Umweltsünder*innen die Möglichkeit, sich auf Sachzwänge zurückzuziehen ohne persönliche Verantwortung zu übernehmen."
Das Argument ist besonders interessant, weil es die Frage der "Verantwortung" aufgreift. Genau hier setzt auch meine Kritik an der Initiative an. Sie suggeriert, Umweltzerstörungen lägen in der direkten Verantwortung "der Entscheidungsträger". Während Kritik an der überhöhten politischen Gestaltungsmöglichkeit ökonomischer Eliten durchaus berechtigt ist, stellt sich die Frage, wer diese Macht zu verantworten hat. Die Antwort sollte in einer Demokratie lauten: Wir alle!

Wir sind es, die Naturzerstörung profitabel machen. Wir sind das System, das Profitstreben vor Gemeinwohl stellt. Wir alle reproduzieren die Denkstrukturen, die uns im jetzigen Wirtschaftssystem festhalten.
Die wichtigste kapitalistische Denkstruktur ist die Konkurrenz. Da alle Firmen auf dem Markt bestehen müssen, um nicht pleite zu gehen, müssen sie möglichst günstig produzieren. Sie brauchen deshalb Kapital, um sich die neusten Technologien leisten zu können. Ergo müssen sie wachsen. Firmen, die dem Wettbewerb nicht standhalten können, werden in kürzester Zeit durch Mitbewerber*innen geschluckt. Wie fragil das Überleben eines Unternehmens ist, lässt sich daran erkennen, welche großen Börsenturbulenzen selbst ein kleinster Quartalsverlust auslösen kann.

Die im letzten Absatz gegebene Charakterisierung der Kapitalanhäufung ist natürlich unterkomplex, da dieser Blogpost keine Einführung in die Kapitalismuskritik sein soll (hier verweise ich lieber auf die zahllosen Zusammenfassungen des Werkes "Das Kapital"). Ich wollte lediglich verdeutlichen, warum ein Unternehmen stets im Überlebenskampf existiert. Dieser stellt die vermeintlich so wichtigen "Entscheidungsträger*innen" ständig vor die Wahl: "Nehme ich Zerstörungen der Natur in Kauf, oder gefährde ich die Arbeitsplätze in meinem Unternehmen." Eine freie Wahl, sich ethisch gegen jede ökonomische Vernunft zu verhalten, sehe ich hier schlichtweg nicht.

Natürlich gibt es auch Unternehmen, die ökologisch nachhaltiger arbeiten. Sie können jedoch auch nur deshalb überleben, weil sich ihre Kund*innen wider der ökonomischen Vernunft verhalten und teure Produkte kaufen. In diesem Moment befinden wir uns in einer Kollektivverantwortung. Die ganze Gesellschaft bestimmt, welche Produkte nachgefragt werden. Vor Allem bestimmt die Gesellschaft auch, dass Umweltzerstörung von Konzernen ökonomisch rational bleibt und sich nicht alle Menschen nachhaltige Produkte leisten können. Hier liegt der Ansatzpunkt für eine politische Debatte.

Die Fokussierung auf die persönliche Schuld der "Entscheidungsträger" verschleiert die Verantwortung der breiten Masse. Überlegungen zum eigenen Lebensstil und wichtigen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur werden durch die Dämonisierung eines anonymisierten Feindes vermieden. Die einfache Erklärung, nur die "Entscheidungsträger" hätten falsch gehandelt, führt zu der einfachen Lösung: Wir müssen DIE wegsperren, um zur "wahren Demokratie" zu gelangen. Untermauert wird dieser Appell im Kampagnenvideo durch emotionalisierende Bilder. Eines darunter stammt vermutlich von einer Occupy-Demonstration und zeigt ein Schild mit der Aufschrift "We are the 99%".

Spätestens hier sollten die Alarmglocken schallen. Wieder einmal wird das oberste Prozent der Einkommensverteilung -sprich, das "globale Finanzkapital"- für die Verfehlungen eines Wirtschaftssystemes verantwortlich gemacht. Zusammen mit der Suggestion, es gäbe momentan keine "wahre Demokratie" wird klar, dass die Initiative verschwörerische, dunkle Kräfte am Werk sieht. Diese Haltung ist höchstgefährlich und hat historisch zu großen Verbrechen geführt. Der Begriff "Ökozid" ist auch vor diesem Hintergrund geradezu zynisch oder zumindest stark geschichtsvergessen.

Nur für Akademiker*innen?

Ein weiteres Gegenargument ist, dass man von abgehobenen Diskursen über das kapitalistische System wegkommen muss und stattdessen die pragmatischen Chancen der Initiative sehen sollte. Ich hoffe, im Bezug auf das letzte Argument deutlich gemacht zu haben, warum die Umsetzung der EBI keine Vorteile bringen würde. In einer Welt, die Menschen dafür bestraft, dass sie ihrer Aufgabe (in diesem Fall die Maximierung des Profits) nachgehen, möchte ich nicht leben. Genau so wenig möchte ich in einer Welt leben, in der das Versagen demokratischer Gesetze "dunklen Mächten" untergeschoben wird, um von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Auch ökologisch brächte die Initiative keinerlei Vorteile. Ganz davon abgesehen, dass eine Verfolgung von "Ökosündern" global nicht ohne größte internationale Spannungen zu leisten wären, hätte die Bestrafung des einen "Entscheidungsträgers" lediglich seine*ihre Ersetzung durch eine*n Andere*n zur Folge. Solange wir im Kapitalismus leben, werden Unternehmen immer ihren Profit maximieren müssen und sich dafür die richtigen Führungspersönlichkeiten und/oder Kapitalgeber*innen suchen. Deren unökologische Entscheidungen folgen unmittelbar aus wirtschaftlicher Vernunft und können nicht durch die Androhung von Haftstrafen, sondern nur durch systematische Veränderungen verändert werden.

Eine Auseinandersetzung mit komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen ist schwierig und kann zuweilen auch anstrengend sein. Die Verkürzung der notwendigen Reformen auf eine populistische Hetzjagd kann jedoch keine Alternative darstellen.

Sozialismus ist genau so schlimm

Die Standardentgegnung auf jegliches antikapitalistisches Argument ist: "Im Sozialismus war das aber auch nicht besser!". Dabei wird die "sozialistische" Planwirtschaft unter Stalin und co. als die einzige Alternative zum marktwirtschaftlichen Kapitalismus gesehen. Doch der Kapitalismus ist ein weltweites Wirtschaftssystem. Es kann nicht von einzelnen Staaten überwunden werden, solange diese noch in Konkurrenz miteinander stehen. Deshalb waren auch die Länder des so genannten "real existierenden Sozialismus" kapitalistische Staaten. Sie mussten ihre Produktion für den Außenhandel wettbewerbsfähig machen und zerstörten die Umwelt zu diesem Zweck auch im großen Maßstab. Sie agierten also gewissermaßen wie ein großer Konzern.

Nur die allerwenigsten, die sich heute als antikapitalistisch bezeichnen, möchten zurück in die Planwirtschaft. Noch weniger möchten zurück in die Diktatur unter Stalin oder Mao. Wenn ich heute gefragt werde, wie denn ein System abseits vom Kapitalismus konkret aussieht, kann ich nur sagen: "ich weiß es nicht.". Alternativen zum zerstörerischen Wirtschaften der heutigen Zeit können wir nur in einem emanzipatorischen Prozess entwickeln. Die Aufbringung einzelner gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander hilft diesem Anliegen in keinster Weise. Sie ist antiemanzipatorisch!

1 Kommentare:

  1. Lieber Marcel,
    vielen Dank auch für deinen Beitrag und deine Kritik. Es freut mich, dass wir den Inhalt der Initiative diskutieren, nicht so sehr den Begriff "Ökozid" (der vielleicht im deutschen Sprachraum auf mehr Unverständnis trifft als in anderen Ländern).
    Ich sehe nicht, dass Umweltzerstörung im direkten Konflikt mit Arbeitsplätzen steht. Sie steht im direkten Konflikt mit Aktienkursen und Dividenden für die Anleger, ja. Aber Arbeitsplätze tun das auch tun. Um Profitmargen zu verbessern, scheuen viele Unternehmen (und da Unternehmen nicht selbst agieren können, ihre Leitung) vor fast gar nichts zurück. Nicht vor massiver Umweltzerstörung, nicht vor dem Abbau von Arbeitsplätzen, und nicht vor der Ausbeutung ihrer Mitarbeiter. Da Umweltzerstörung oft im direkten Zusammenhang mit der Arbeitsbedingung und Gesundheit der Mitarbeiter eines Unternehmens vor Ort steht, bringt das Ökozidgesetz somit eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit sich. Wir möchten, dass Menschen und Umwelt vor den Profit gestellt werden.
    Ich würde auch dem von dir angenommenen Gegensatz zwischen der Übernahme von Verantwortung durch Entscheidungsträger und der Verantwortung der Gesellschaft widersprechen. Wir brauchen beides. Natürlich müssen wir alle unseren Beitrag leisten und nachhaltige Produkte kaufen, aber wie du sagst, können sich viele diese nicht leisten und zweitens dauert dieser Wandel viel zu lang - und wir haben keine Zeit.
    Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft erhalten ein sehr viel höheres Gehalt als normale Mitarbeiter eines Unternehmens. Was da bezahlt wird, ist die Verantwortung. Deshalb ist es in meinen Augen nur gerecht, dass diese Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns übernehmen.
    Ich habe bereits in meiner Antwort auf Alexanders Artikel versucht zu erklären, dass es uns nicht darum geht, so viele Entscheidungsträger wie möglich zu bestrafen, sondern unser System so zu verändern, dass andere Entscheidungen getroffen werden. Sobald etwas illegal wird, werden Banken es nicht mehr finanzieren, Behörden keine Genehmigungen mehr ausstellen und Regierungen es nicht mehr finanzieren oder subventionieren. Damit wird gar kein Unternehmen mehr Ökozid verursachen wollen, da es sich nicht mehr lohnt.
    Ich möchte mich auch klar von deiner Unterstellung distanzieren, dass wir "verschwörerische, dunkle Kräfte am Werk sehen". Absolut gar nicht. Wir sehen ein System, dass momentan die Anreize so legt, dass sich Umweltzerstörung lohnt. Wir möchten genau dies verändern, indem wir schwere Fälle der Umweltzerstörung verbieten. Somit führen wir eine moralische Regel ein, um den Markt zu regulieren.
    Es ist die Aufgabe der Politik und eines Rechtssystems, den Rahmen und die Anreize so zu setzen, dass Menschen zum Besten der Gesellschaft handeln. Wenn wir sehen, dass unser momentanes System nicht so funktioniert, ist es unsere Aufgabe als Staatsbürger, neue Vorschläge einzubringen, um das System zu verändern.
    Du sagst, dass ein verurteilter Entscheidungsträger nur durch einen anderen ersetzt werden wird. Dies stimmt nicht, da wir neben der Haftung des Einzelnen auch eine Haftung des Unternehmens fordern. Das Unternehmen wird für die gesamten Kosten der Herstellung des Ökosystems aufkommen müssen. Außerdem wird das Unternehmen danach Schwierigkeiten haben, an neue Kredite zu kommen, etc, da Banken kein Unternehmen finanzieren werden, das in illegale Aktivitäten verstrickt ist.
    Du schließt deinen Artikel mit dem Satz "Alternativen zum zerstörerischen Wirtschaften der heutigen Zeit können wir nur in einem emanzipatorischen Prozess entwickeln. Die Aufbringung einzelner gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander hilft diesem Anliegen in keinster Weise". Ich stimme dir da vollkommen zu und sehe nicht, wie wir durch das Ökozidgesetz einzelne gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufbringen. Wir sehen unseren Vorschlag als Beitrag zu dem emanzipatorischen Prozess. Andere Beiträge sind natürlich willkommen und wir sind auch offen für Dialog.

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