Die Erbschaftsteuer ist ein wenig beachtetes politisches
Steuerungsinstrument. Ihre Bedeutung für das Gesamtsteueraufkommen in
Deutschland ist mit ca. 4-5 Milliarden € jährlich gering. Trotz dieser niedrigen Belastungen von Erben in
Deutschland wird jeder Forderung um eine Erhöhung der Erbschaftsteuer oder
eine Verbreiterung ihrer Bemessungsgrundlage sehr emotional begegnet. Das ist
nicht unverständlich, stellt der Tot eines geliebten Menschen schon ohne
Erbschaftssteuer eine große psychische Belastung da. Der Gedanke, die
Erinnerung an die Verstorbenen (etwa in Form eines Familieneigenheims oder
traditioneller Schmuckstücke) versteuern zu müssen und dadurch vielleicht zu
verlieren, ist für viele bereits in der Zeit vor dem Ernstfall nicht zu
ertragen. Auch wenn diese Angst in Anbetracht der diskutierten Freibeträge
jeder sachlichen Grundlage entbehrt, muss sie in der Debatte ernst genommen
werden. Ich hoffe, mit diesem Beitrag die Diskussion in der Öffentlichkeit und
Parteiintern ein Stück in eine sachlichere Richtung zu lenken.
Wieso
Erbschaftssteuern?
Wieso halte ich die Erbschaftssteuer (genauer „Erbschaft-
und Schenkungssteuer“) trotz ihrer geringen fiskalischen Effekte für einen
wichtigen Aspekt von Steuergerechtigkeit? Die Antwort ist simpel: weil sie die
einzige Steuer ist, die sowohl mit linken als auch liberalen Argumenten begründet
werden kann und damit ein großes Akzeptanzpotenzial bietet. Aus linker Sicht
ist die Umverteilung von Vermögen ein wichtiger Beitrag zu Gerechtigkeit und Gemeinwohl. Diese Feststellung ist trivial und muss hier
nicht weiter ausgeführt werden [1].
Realpolitisch interessanter ist die liberale
Argumentationsmöglichkeit für die Steuer. Denn wer ernsthaft behauptet, ihm*ihr
liege die „Leistungsgerechtigkeit“ (im liberalen Duktus natürlich rein auf
Erwerbsarbeitsleistung fixiert) am Herzen, wird Erbschaften und Schenkungen als
leistungsloses Einkommen ablehnen. Sie haben nichts mit der liberalen
kapitalistischen Ordnung zu tun, sondern sind ein Überbleibsel aus der feudalen
Gesellschaft, in der Reichtum noch stärker als heute durch Herkunft bestimmt
war. Auch heute gilt für die Erbschaft: wer hat, dem*der wird gegeben. So
konstatiert das deutsche Institut für Altersvorsorge in der 2011 erschienenen
Studie „Erben in Deutschland“, dass „die Höhe der Erbschaft mit dem Einkommen
[steigt].“ [2]. Neben der marktliberalen „Leistungsgerechtigkeit“ kann also
auch die linksliberale „Chancengerechtigkeit“ nicht für die Legitimation von Erbschaften
dienen. Was liegt näher, als die ohnehin notwendige Finanzierung des Staates in
stärkerem Maße durch eine Steuer auf Erbschaften und Schenkungen
sicherzustellen?
Warum ist das Thema
aktuell?
Die Erbschaftssteuerdiskussion kocht momentan durch mehrere
Ereignisse erneut hoch. Das relevanteste davon ist sicherlich das erwartete
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches die enormen Vergünstigungen von
85 bzw. 100% auf Betriebsvermögen für verfassungswidrig erklären dürfte. Außerdem hat die Grüne Bundestagsfraktion jüngst eine Studie über mögliche Umgestaltungen der Erbschaftssteuer erstellen lassen, um die im
Bundestagswahlkampf geforderte Verdopplung des Erbschaftssteueraufkommens mit
einem handfesten Konzept zu hinterlegen. Da ich die DIW-Studie in diesem Post
häufig zitiere, beziehen sich alle im Text folgenden Seitenangaben auf sie.
Das Ergebnis der Studie hat Kathrin-Göring Eckhardt – zur
Überraschung vieler Grüner Finanzpolitiker*innen – dazu veranlasst, die
geforderte Erhöhung in einem Interview mit dem Handelsblatt als unmachbar zu
stilisieren. Ich gehe in diesem Post nicht auf die berechtigte Kritik an der
unterschätzten Steuerbasis der DIW-Studie ein (siehe zum Beispiel http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=22310
). Stattdessen argumentiere ich, dass auch auf Grundlage der DIW-Daten ein
zufriedenstellendes und realpolitisch durchsetzbares Erbschaftsteuerkonzept
entwickelt werden kann. Dazu stelle ich zunächst theoretische Überlegungen zu
wünschenswerten Erbschaftsteuerkonzepten auf, betrachte relevante
Gütekriterien und wende sie im Anschluss exemplarisch auf Beispielkonzepte aus
der DIW-Studie an.
Bausteine eines
Erbschaftssteuerkonzepts
Freibeträge
Die Wahl der Freibeträge ist für das Erbschaftsteuerkonzept
entscheidend. Dabei lassen sich die Verwandtschaftsabhängigkeit, die Höhe der
persönlichen Freibeträge und der Unternehmensfreibeträge unabhängig voneinander
bewerten und abwägen.
Im heutigen Erbschaftsteuerrecht werden Freibeträge abhängig
vom Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erb*innen und Erblasser*innen in
unterschiedlicher Höhe gewährt. Diese Regelung ist aus mehreren Gründen
problematisch. Auf der normativen Ebene widerspricht die einseitige Bevorzugung
von engen Verwandten dem liberalen Staat. Die Entscheidung, wer welchen Teil
eines Vermögens erbt, sollte von den Erblasser*innen selbst bestimmt und nicht
durch das Steuersystem beeinflusst werden (zwar ist eine Steuerung politisch
gewünschter Ereignisse durch Steuern durchaus sinnvoll. Im konkreten Fall ist
dies jedoch eine nicht verhältnismäßige Privilegierung traditioneller
Familienstrukturen. Ein Pflichtanteil am Erbe für nahe Angehörige reicht völlig
aus, um ihre Existenz dauerhaft zu sichern). Auch aus ökonomischer Sicht ist
die Anreizwirkung der Statusabhängigen Freibeträge zu kritisieren.
Unternehmer*innen könnten bei ihrer Nachfolgeentscheidung ihre engen Verwandten
bevorzugen, um von den Freibeträgen zu profitieren. Ob diese jedoch die
richtigen für die daraus entstehende Verantwortung sind, muss bezweifelt werden
[3]. Das Problem der Fehlallokation ist ein generelles Problem der
Erbanfallsteuer, die auf mehrere Personen verteilte Erbschaften begünstigt.
Leider wurde die aus dem angelsächsischen Raum bekannte Nachlasssteuer, die
dieses Problem durch einen auf das Erbe angewandten Freibetrag lösen kann,
nicht im DIW-Gutachten untersucht, sodass die später vorgestellten Ansätze
diesen vielversprechenden Ansatz außen vor lassen. Realpolitisch könnte eine
Entkopplung von Verwandtschaftsgrad und Freibeträgen zu Widerstand führen, da
die Steuerstruktur signifikant verändert wird. Da Menschen jedoch in
unterschiedlichen Erbfällen in verschiedenen Rollen auftreten, ist dieser
Effekt zunächst reine Spekulation und vermutlich begrenzt.
Die Höhe der Freibeträge ist eine schwer abzuwägende
Fragestellung bei der Konzeption eines Erbschaftsteuerrechts. Höhere
Freibeträge dürften im Allgemeinen die Erhebungskosten der Steuern absolut
reduzieren, da weniger Vermögenswerte erhoben und bewertet werden müssen. Ob
dieser Effekt durch eine häufigere Bewertung nicht steuerpflichtiger
Vermögenswerte zur Reduktion von Unsicherheit wett gemacht wird, kann ich
anhand der mir vorliegenden Studien zur Steuer nicht beurteilen. Fest steht,
dass höhere Freibeträge sowohl kleine als auch große Erbschaften entlasten,
aber auch geringere Einnahmen in Aussicht stellen. Bei Freibeträgen auf Betriebsvermögen
muss des Weiteren bedacht werden, dass kleinere Unternehmen in der Regel
schwieriger zu veräußern sein sollten als große Unternehmen. Deshalb sollten
sie von der Steuer ausgenommen werden. Insgesamt sind sowohl bei den
persönlichen Freibeträgen (welche im Übrigen nicht mehr nach 10 Jahren erneuert
[4] werden sollten, um Steuervermeidung einzudämmen) als auch bei Freibeträgen
auf Betriebsvermögen moderate Freibeträge sinnvoll, um eine angemessene
Berücksichtigung der verschiedenen Argumentationslinien zu gewährleisten.
Begrenzung Unternehmenssteuerlast
Viele Vorschläge des DIW-Gutachtens verwenden Höchstgrenzen,
bis zu denen Betriebsvermögenssteuersätze ansteigen können. Da die Angst vor
Insolvenzen aus Substanzbesteuerung ungeachtet jeglicher empirischer Evidenz [5]
die öffentliche Debatte bestimmt, werden diese realpolitisch wohl nicht zu
vermeiden sein. Ich plädiere für eine möglichst hohe Grenze, um eine relevante
Besteuerung von Betriebsvermögen und eine angemessene Progression zu
ermöglichen. Ebenfalls bedenkenswert wären Varianten, in denen ein Teil der
Steuerschuld dadurch vermindert wird, dass entsprechende Anteile am Unternehmen
an die Mitarbeiter*innen abgegeben werden. So können Liquiditätsprobleme
vermieden werden und nebenbei wird das gesamtgesellschaftliche
Produktivvermögen wirksam umverteilt und unter Umständen demokratisiert.
Inwiefern derartige Übergaben über Zwangskapitalisierungen oder Anteilsverkäufe
abgewickelt werden und welche demokratischen Rechte der Belegschaft daraus
erwachsen (hier wären sowohl genossenschaftliche als auch am Kapital bemessene
Organisationsmodelle denkbar), muss noch eingehender diskutiert werden und
würde den Umfang dieses Posts sprengen.
Steuersätze
Steuersätze können nur komplementär zu Freibeträgen diskutiert
werden. Schließlich benötigen hohe Freibeträge auch hohe Steuersätze, wenn das
Einnahmeziel erreicht werden soll. Analog ermöglicht eine breite
Bemessungsgrundlage niedrigere Steuersätze. Die von mir aus
Umverteilungsgründen als wünschenswert erachtete Progression lässt sich
ebenfalls entweder de facto durch hohe Freibeträge oder direkt durch progressive
Steuersätze sicherstellen. Hier wird politisch zu bewerten sein, inwiefern ein
einfacher, flacher Steuersatz die entgangene Progressionswirkung und damit die
höhere Belastung niedriger Erbschaften aufwiegt. Da diese Frage vor allem eine
der politischen Strategie ist und mir keine Studien zur subjektiven Bewertung
von einfachen im Vergleich zu komplexen Steuersystemen vorliegen, werde ich ihr
hier keine weitere Beachtung schenken.
Kriterien für ein
gutes Erbschaftssteuerkonzept
Im Folgenden beschreibe ich kurz, welche Kriterien auf die
einzelnen Vorschläge des DIW angewandt werden können, um diese zu beschreiben
und zu bewerten. Alle Kriterien lassen sich aus der DIW-Studie direkt ablesen.
Auf wenig quantifizierbare Kriterien wie „Einfachheit“ werde ich in meiner
Analyse verzichten, obgleich sie für die endgültige Entscheidung zugunsten
eines Konzepts wichtig werden können.
Erwartete Einnahmen
Bei einer Steuer sind die erwarteten Einnahmen entscheidend.
Steuerkonzepte mit hohen Einnahmen bieten nicht nur stärkere finanzielle
Entlastungen für den Staat, sondern werten auch die Steuerungswirkung der von
mir als wichtig erachteten Erbschaftssteuer aus. Da wir Grünen zur
Bundestagswahl die Forderung der Aufkommensverdopplung propagiert haben, werde
ich in meine exemplarischen Betrachtungen nur Konzepte einbeziehen, welche
dieses Ziel erreichen. Grundsätzlich gilt: je höher die erwarteten Einnahmen,
desto besser.
Anzahl Steuerpflichtige
Das DIW weist in seiner Studie auch die Anzahl der
erwarteten Steuerpflichtigen je Konzept aus. Als Kennzahl ist sie jedoch
zweischneidig. Auf der einen Seite bedeutet eine niedrige Anzahl an
Steuerpflichtigen meistens, dass sich die Steuererhebung auf große Erbschaften
beschränkt. Dann kann durch geringeren Verwaltungsaufwand ein großer
Umverteilungseffekt erreicht werden. Des Weiteren sind weniger Menschen dazu
geneigt, gegen die geplante Erbschaftssteuererhöhung vorzugehen, wenn sie nicht
selbst betroffen sind. Auf der anderen Seite müssen die Besteuerten in einem
System mit wenigen Steuerpflichtigen pro Kopf mehr bezahlen und haben einen
zusätzlichen Grund für Widerstand. Da Personen, die große Erbschaften erwarten,
meist ohnehin größere ökonomische Ressourcen haben, wirkt ihre Stimme durch
Multiplikatoreffekte ungleich höher als die von Normalsteuerzahler*innen. Wie
groß das Mobilisierungspotenzial der besteuerten Minderheit ist, kann jedoch
nicht seriös abgeschätzt werden. Alles in Allem denke ich, dass die Anzahl der
Steuerpflichtigen auf jeden Fall nicht deutlich erhöht werden sollte. Dies
würde lediglich dem Argument „die Grünen wollen dem Mittelstand schaden“
Vorschub leisten und somit für die Reform kontraproduktiv sein.
Änderung der Zahlungsstruktur
Hierunter zähle ich nicht nur Veränderungen bezüglich der
unterschiedlichen Besteuerung verschiedener Verwandtschaftsgrade, sondern auch
eine Verschiebung der Einnahmen hin zu einer höheren Belastung der
Betriebsvermögen. Erstere sollten von uns klar vorangebracht werden, um den
oben beschriebenen Ungerechtigkeiten in diesem Bereich zu beseitigen.
Allerdings sollte dabei beachtet werden, dass starke Verschiebungen starke
Widerstände hervorrufen können und somit moderaten Veränderungen der Vorzug
eingeräumt werden sollte. Zweitere sind in jedem Fall positiv zu bewerten, da
Betriebsvermögen momentan viel zu gering besteuert sind. Dabei müssen wir
darauf achten, insbesondere kleine Unternehmen nicht zu stark zu besteuern,
sondern die Last durch große, leicht veräußerbare Unternehmen erbringen zu lassen.
Eine Progression ist wünschenswert.
Erhebungskosten
Wie bei der Höhe der erwarteten Einnahmen erschließt sich
bei den Erhebungskosten sofort, welche Werte als positiv anzusehen sind. Da
Bürger*innen verständlicherweise möglichst viele sinnvolle öffentliche Projekte
durch ihre Steuern verwirklicht sehen wollen, ist die Minimierung von
Verwaltungskosten beim Staat wichtig. Auch die Kosten, welche die Besteuerten
selbst tragen müssen, sollten so klein wie möglich gehalten werden. Fast alle
vom DIW diskutierten Modelle würden Erhebungskosten reduzieren, weswegen sie
ein Fortschritt zum status quo wären. Auch wenn es Unterschiede zwischen den
einzelnen Vorschlägen bezüglich ihrer Kosten gibt, sollte dieser Punkt nicht
überbewertet werden. Wenn etwa eine komplexe Progression dazu führt, dass die
Steuer an sich gerechter wird, kann dies höhere Erhebungskosten durchaus
rechtfertigen.
Vorschläge für ein
neues Erbschaftsteuerrecht
Nach den theoretischen Vorüberlegungen komme ich nun zur
Analyse des aktuellen Systems sowie 5 ausgewählter Modelle aus der DIW-Studie.
Ich habe für die Analyse Modelle gewählt, die mir für eine weitere
Programmdebatte diskussionswürdig erschienen oder die gute Aspekte enthalten.
Der Status Quo
Die momentane Erbschaftsteuer wird auf den Seiten 9-14 der
DIW-Studie kurz beschrieben. Sie schafft nach der Studie ein Aufkommen von 4,1
Mrd.€, wird von 112.000 Steuerzahlenden aufgebracht und kostet ganze 4,5% an
Verwaltungskosten in Bezug auf das Aufkommen (alle Daten aus s. 69-70).
Strukturell lässt sich feststellen, dass Ehegatten/Lebenspartner*innen und
Kinder nur in 4% der Erbanfälle belastet werden, während Erbschaften an
Geschwister oder nicht bzw. entfernt Verwandte in mehr als jedem zweiten Fall
zahlen müssen. Obwohl das Betriebsvermögen (im weiteren Sinne) 15% der
Erbschaftserwerbe ausmacht, macht es nur 1% des Steueraufkommens aus. Auch
Grundvermögen sind aufgrund der Regelungen zu selbstgenutzten oder vermieteten
Wohnimmobilien (S.12) leicht privilegiert, während sonstige Vermögen
überproportional in der Steuerlast berücksichtigt werden. Somit bestätigt die
Analyse des Status Quo alle Kritikpunkte, welche häufig an diesen angebracht
werden.
Modell 1: Einfaches Mittelmaß
Das erste vom DIW diskutierte Modell (S.71-73) gewährt einen
hohen, aber noch moderaten persönlichen Freibetrag von 200.000€, einen
moderaten flachen Steuersatz von 30%, keine Freibeträge für Betriebsvermögen,
aber eine Begrenzung der Steuerlastquote für Unternehmen auf 15%. Betriebsvermögen
werden mit einem Steueranteil von 17% überproportional herangezogen. Aufgrund
der fehlenden Freibeträge, der flachen Steuersätze und der niedrigen
Belastungsgrenze für Unternehmen besteht nur eine sehr begrenzte Progression.
Das Aufkommen wird wie geplant verdoppelt (+96%), während sich die Anzahl der
Steuerzahlenden (-48%) und die relativen Erhebungskosten (-68%) im Vergleich zu
heute deutlich verringern. Besonders nahe Verwandte
(Ehegatten/Lebenspartner*innen, Kinder, Enkel) werden durch das Modell stärker
belastet, während entferntere Verwandte entlastet werden.
Modell 1 ist attraktiv, weil es wenige Menschen belastet,
günstig in der Erhebung ist, aber trotzdem die gewünschte Einnahmesteigerung
bringt. Negativ ist vor allem die fehlende Progression (insbesondere bei
Betriebsvermögen).
Modell 4: Niedrige Flat-Tax
Im Modell 4 (S.80-83) wird ein niedriger persönlicher
Freibetrag von 100.000€ gewährt, der Steuersatz liegt bei 25% und es gibt
sowohl einen abschmelzenden Freibetrag von einer Million € für
Betriebsvermögen, als auch eine Begrenzung der Steuerlastquote auf 20%. Das
Betriebsvermögen wird somit proportional zum Erwerb (16% d. Steuern)
herangezogen. Seine Besteuerung ist progressiver als im Modell 1 ausgestaltet.
Das Aufkommen wird verdoppelt (+102%), während die Anzahl der Steuerzahlenden
(-5%) ungefähr gleich bleibt und sich die Erhebungskosten (-55%) deutlich
reduzieren. Die Verschiebungen bezüglich des Verwandheitsgrades ähneln denen in
Modell 1.
Modell 4 ist attraktiv, weil es für Ottonormalerb*innen
recht simpel zu verstehen ist und bei den Betriebsvermögen eine bessere
Progression als Modell 1 sicherstellt. Negativ anzumerken ist die fehlende
Progression bei nicht-Betriebsvermögen.
Modell 8: progressiv und betriebsschonend
Auch Modell 8 (S.92-94) enthält einen persönlichen
Freibetrag von 100.000€. Im Gegensatz zum 4. Modell gibt es darin einen
abschmelzenden Freibetrag von 2 Millionen € auf Betriebsvermögen und einen
progressiven Steuertarif. Betriebsvermögen werden leicht unterproportional (12%
d. Steuern) berücksichtigt, aber bis zur Maximalbelastung (15%) progressiv
veranlagt. Das Steueraufkommen wird verdoppelt (+107%), während die Anzahl der
Steuerzahlenden ungefähr gleich bleibt (-7%) und die Erhebungskosten deutlich
sinken (-56%). Die Verschiebungen bezüglich des Verwandtheitsgrades ähneln
denen der vorangegangenen Modelle.
Modell 8 ist attraktiv, weil es progressiv gestaltet ist und
somit eine größere Umverteilungswirkung entfaltet. Leider wird dieser Vorteil
durch eine niedrige maximale Steuerlastquote bei Betriebsvermögen
konterkariert.
Modell 12: hohe Flat-Tax
Modell 12 (S.104-106) gewährt einen hohen persönlichen
Freibetrag von 200.000€, einen niedrigen, abschmelzenden Freibetrag von 1
Million € für Betriebsvermögen (welches mit 14% d. Steuerlast proportional
herangezogen wird) und eine Begrenzung der Steuerlastquote auf 20%. Der
Steuersatz von 40% ist im Vergleich zu anderen Modellen hoch, weswegen auch die
reduzierte Anzahl an Steuerzahlenden (-52%) eine im Vergleich zu den bisherigen
Modellen höhere (+139%) Aufkommenserhöhung stemmen kann. Besonders positiv ist
der stark reduzierte Erhebungsaufwand (-74%). Die Verschiebung der Belastung
zuungunsten näherer Verwandter ist etwas deutlicher als in den vorigen
Modellen.
Modell 12 zieht seine Attraktivität aus der hohen
Aufkommenswirkung bei niedrigen Verwaltungskosten. Auch die Reduktion der
Steuerpflichtigen ist positiv anzumerken. Negativ ist am Konzept primär, dass
ein Steuersatz von 40% in der öffentlichen Debatte für scharfe Gegenkampagnen
missbraucht werden kann und dass durch die Freibeträge nur eine begrenzte
Progressionswirkung gewährleistet wird.
Modell 20: progressives Abzinsmodell
Modell 20 (S.128-130) bietet geringe persönliche Freibeträge
von 100.000€ und einen progressiven Steuersatz. Bei Betriebsvermögen wird kein Freibetrag
gewährt. Stattdessen ist im Rahmen eines Abzinsmodells die zinslose Stundung
der Zahlungen der Betriebssteuerschuld über 10 Jahre erlaubt. Durch diese
Regelung werden Betriebsvermögen stärker progressiv belastet als in anderen
Modellen, ohne dass ein Liquiditätsproblem befürchtet werden muss. Das
Steueraufkommen ist nominal das höchste der erwähnten Modelle (+168% zum status
quo), allerdings kann es sich aufgrund der Stundungsregelung real insbesondere
in Zeiten hoher Inflationsraten (die momentan jedoch nicht erwartbar sind)
deutlich reduzieren. Die Zahl der Steuerzahlenden bleibt gleich (-1%), die
Verwaltungskosten sinken deutlich (-66%). Strukturelle Verschiebungen bezüglich
der Verwandtschaftsgrade ähneln denen aus Modell 12.
Modell 20 ist mein persönlicher Favorit. Es bietet eine
starke Progression, die auch bei Betriebsvermögen wirkt, ohne dabei
Liquiditätsprobleme zu erzeugen. Negativ anzumerken ist lediglich, dass das
Abzinsmodell in der öffentlichen Debatte schwer zu erklären sein dürfte und
seine Auswirkungen auf Liquiditätspräferenzen noch geklärt werden müssen.
Fazit
Eine Verdopplung des Erbschaftssteueraufkommens ist
realpolitisch wie ökonomisch umsetzbar und in Anbetracht der steigenden
Vermögensungleichheit in Deutschland dringend geboten. Wir Grüne haben nun
verschiedenste Konzepte zur Auswahl, aus denen wir unser endgültiges Konzept
erstellen können. Wenn wir dieses einfach, gerecht und progressiv ausgestalten,
können wir das Thema politisch gut vorantreiben. Dabei sollte sich unser
Vorschlag in Punkto der gerechten Einbeziehung von Betriebsvermögen und der
Verwandschaftsunabhängigkeit von denen der politischen Konkurrenz abheben
können und der Erbschaftssteuerdebatte neue Facetten hinzufügen.
Endnoten:
[1]: Für eine genauere Behandlung siehe: Richard Wilkinson
and Kate Pickett, Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle
besser sind. Berlin: Tolkemitt Verlag, 2009.
[2]: Dr. Reiner Braun, Ulrich Pfeiffer, and Lorenz
Thomschke, “Erben in Deutschland: Volumen, Verteilung und Verwendung.”
Deutsches Institut für Altersvorsorge, 2011.
[3]: vgl. S. 33-34 in Wissenschaftlicher Beirat des
Bundesministeriums für Finanzen, “Die Begünstigung des Unternehmens vermögens
in der Erbschaftsteuer.” Bundesministerium für Finanzen, 2012.
[4]: vgl. S. 79 in Jörg Dribeck, Erbschaftsteuer leicht
gemacht. Berlin: Ewald von Kleist Verlag, 2009.
[5]: vgl. S. 30 (gleiche Literatur wie [3])